Ein gemütlicher Törn mit der AVATAR vom 5. bis 10. Juni 2016 von Kiel nach Kiel, durch die dänische Südsee. Ein Bericht von Hans Sturm.
5. Juni
Meine Frau Lissi und ich kamen mit der Bahn um 1650 in Kiel an und fuhren dann mit dem Taxi zum Tiessenkai an der Schleuse zum Nord-Ostsee-Kanal wo die AVATAR auf uns wartete. Die AVATAR ist ein moderner 2-Mast-Topsegelschoner. Ca 20 andere große Segler lagen hier am Tiessenkai schon in 3er Päckchen. Alles Holländer. Wir fanden die AVATAR schließlich ganz draußen. Die Innenlieger ließen uns über ihre Schiffe steigen, -wohl oder übel. Der Kapitän der AVATAR und einige andere Gäste saßen schon achtern beieinander. Wir stellten uns vor. Der Kapitän hieß uns willkommen. Der Bootsmann führte uns zu unserer Kabine, die bestand gerade mal aus 2Kojen übereinander und einer winzige Nasszelle. Nachdem die letzten der 12 Gäste eingetroffen waren, servierte der Koch einen Imbiss, das war ein Teller mit gebratenem Schinken, gedünstetem Gemüse, verziert mit Salatblättern und Streifen von Sojasoße, dazu Weißbrot. Unten im Salon gab´s eine Bar mit Selbstbedienung. U.a. Bier vom Fass aus einer professionellen Zapfanlage. Danach gab der Kapitän die obligatorische Sicherheitsunterweisung und was von den Gästen erwartet wird und was sie lieber nicht machen sollten. Der Vortrag des Kapitäns war aber mehr Entertainment als strenge Unterweisung. Z.B. bezeichnete er die 3 Rahsegel als Mars, Raider und Twix, korrigierte sich dann nach scheinbarem Nachdenken zu Bram, Mars, und der riesigen Breitfock, die raumschots anstelle der Baumfock gefahren wird. Ich nahm angenehm überrascht zur Kenntnis, dass die Holländer die gleichen Begriffe der Seemannssprache benutzen wie wir, auch untereinander.
6. Juni
Nach einem opulenten Frühstück vom Büffet legten wir vom Kieler Tiessekai ab. Es wehte ein schöner Ostwind, ca 3 Bf. Um unser Ziel, Marstal auf der dänischen Insel Aerø zu erreichen, mussten wir also auf einen „Am-Wind“-Kurs gehen. Der Kapitän ließ zuerst das Schonersegel setzen, dann die Baumfock, zu meiner Überraschung auch die Mars (das mittlere Rahsegel) Ich hatte immer gedacht, mit Rahsegeln könne man nicht hoch an den Wind. Offensichtlich ging es doch. Mit jedem Segel legt sich die AVATAR mehr und mehr über und beschleunigt auf etwa 7 ktn. Jetzt erst kam das Groß rauf Der Bootsmann Jann rief nach achtern zum Kapitän: „Willst noch mehr Lappen?“ „Ja, Innenklüver und Stengestag!“ rief der zurück. Jann wies uns wieder genau ein, wie bei den bisherigen Segeln auch, welches Fall zu holen war und welche Niederholer zu fieren waren. Alle Segel wurden so hart dichtgeholt bzw angebrasst wie es nur ging. Schließlich musste der Rudergänger ja „Am Wind“ fahren, hier waren es ca. 60° am wahren Wind.
Gute 300 m neben uns in Luv fuhr die ARTEMIS, eine 3-Mast-Bark, ähnlich unserer Gorch Fock, nur etwas kleiner. Auch sie verließ die Kieler Förde. Als Rahsegler kann sie nicht so hoch an den Wind, darum kam sie uns immer näher. Wir waren in einem spitzen Winkel auf Kollisionskurs mit ihr. Wir fielen etwas ab und ließen sie vorbei, trotz Wegerecht. Als sie uns ziemlich nahe war, deckte sie uns den Wind ab und rauschte vorbei. Hätten wir sie nicht vorbeigelassen und sie nach Luv gedrängt, wären wahrscheinlich alle ihre Segel back gekommen. Eine Vollbremsung mit Segeln wäre das wohl gewesen. Schon nach wenigen Minuten hatte sie uns überholt, und wir konnten wieder anluven auf unseren alten „Amwind“- Kurs. Weiter draußen, außerhalb der Kieler Förde legte der Wind ordentlich einen drauf. Da blies es jetzt mit ca. 5 Bf aus Ost. Die Ostsee schäumte. Öffnete man den Mund nach Luv, z. B um etwas zu sagen, wurde man sofort zwangsbeatmet, war aber nicht unangenehm. Die AVATAR legte sich auf die Backe und pflügte nun mit etwa 9 ktn durch die Wellen. Nur bei den großen Wellen verneigte sie sich ein wenig und rollte sich noch mehr zur Seite. Zwei der Damen wurden seekrank. Die Lissi wurde auch etwas blass, hielt aber tapfer durch. Der Koch servierte Sandwiches, darin überbackener heißer Käse und Schinken. Mit einem Tablett auf den Händen und ohne freie Hand zum Festhalten über ein rollendes und stampfendes Schiff zu laufen, das auch noch weit auf der Backe liegt, das muss man können. Am frühen Nachmittag kamen wir in die geschützte Leeseite der Insel Langeland. Der Seegang hörte schlagartig auf, der Wind ging zurück auf angenehmere 4 Bf, und wir fielen ab auf einen raumen Kurs. Die Fahrwassertonnen, die den Weg nach dem Städtchen Marstal auf der Insel Aeroe markieren, tauchten schon vor uns am Horizont auf. Der Kapitän gab mir das Ruder. Ich fuhr dann die AVATAR weiter nach Marstal Hafen. Er ließ Groß, Stengestag, Außenklüver und Fock bergen. Nur mit dem Schonersegel und der Mars passierten wir das ausgetonnte Fahrwasser. Hier war ich schon einmal im Vorjahr gewesen zusammen mit meinen SCND-Freunden Alfred Lauter und Sepp Fuchs auf der „Jannes“, einer 33ft- Yacht. Kurz vor der Hafeneinfahrt ließ der Bootsmann auch noch die restlichen Segel mit Gaitauen beiholen und mit Zeisings sichern. Um 1500 machten wir fest. Der Koch servierte Apfelkuchen und Kaffee. Lissi und ich besichtigten den kleinen Ort Marstal.
Marstal war im 18. und 19. Jahrhundert einer der wichtigsten Seehäfen Dänemarks. Hier wurden damals die berühmten Marstalschoner gebaut. Sie waren das Urbild der heutigen Schoner. (Siehe https://www.yacht.de/yachten/klassiker/marstalschoner-das-werk-ist-vollendet/) Wegen ihrer Schnelligkeit und Wendigkeit waren sie bei Lotsen, Fischern, Schmugglern und Piraten auf der ganzen Welt äußerst gefragt. Ein Nachbau dieser alten Schoner , die „Bonavista“ steht in Orginalgröße im Hof des dortigen Seefahrtsmuseums. Heute ist Marstal, ja die ganze Insel Aeroe wirtschaftlich eher unbedeutend. Nur für Segler und Wochenendtouristen ist es hier interessant, aber dafür schön malerisch und typisch dänisch „hyggelig“. Das Seefahrtsmuseum war leider zu.
7. Juni
Um 0900 begann das Ablegen. Der Wind drückte die AVATAR so an die Kaimauer, dass die Fender zu platzen drohten. Aber Kapitän Andre und sein Bootsmann Jann waren offensichtlich ein eingespieltes Team. Mit Staunen sah ich zu, wie die beiden nahezu ohne jedes Kommando, hauptsächlich nur mit Blickkontakten das Schiff vom Kai weg manövrierten. Grob vereinfacht gesagt, mit Rückwärtsfahrt in die Achterspring kamen wir dann letztlich von der Kaimauer weg. Wir verließen den Hafen und nahmen Kurs Nord. Der Wind kam jetzt mit 3Bf aus SO. Die See war noch ruhig. Wir folgten dem ausgetonnten Fahrwasser in Richtung Strynoe, fielen dann weiter ab Richtung Brücke von Rudkoebing. Der Wind war nun recht schwach raumschots. Das Beiboot wurde ausgesetzt um Fotos von der AVATAR zu schießen zu können. Wunderschöne Villen und Yachthäfen säumten die Ufer. Hier ist offensichtlich sehr viel Geld angelegt. Die Antenne auf dem Großmast kratzte scheinbar die Brücke von Rudkoebing während der Durchfahrt. Weiter ging es durch einen engen Sund nordwärts Richtung Svendborg. Wir halsten, kaum jemand bemerkte es bei der leichten Brise. Der nördlichsten Punkt unserer Reise: N 55°03,23 und E 010°37,12 war erreicht. Ein Regenschauer trieb uns nach unten. Die Rudergängerin hielt durch, wahrscheinlich war sie bis auf die Haut mit Regenwasser vollgesogen. Eine halbe Stunde später schien wieder die Sonne. Am Nachmittag fiel in einer geschützten Bucht der Anker. Wie jeden Nachmittag gab es wieder Kaffee und Kuchen. Einige der Gäste schwammen ums Schiff. Wassertemperatur 16°, nicht jedermanns Geschmack.
8. Juni
Um 1030 holten wir den Anker auf, motorten aus der Bucht. Es herrschte Windstille, die See war so glatt wie Salatöl. Der Kurs Richtung Schleimünde um einige kleine Inseln herum wurde gesteckt. Etwa um 1200 kam dann doch etwas Wind auf: etwa 3 Bf aus NO. Gerade recht für die volle Garderobe der Raumschotklamotten: Schonersegel, Breitfock, Innenklüver, Groß mit einem Reff, damit der Segeldruckpunkt sich nach vorne verlagert, dann Mittel- undAußenklüver, gesetzt in dieser Reihenfolge. Wie bei jedem bisherigen Tag erreichten wir unser Tagesziel mit nur einem einzigen Schlag. Kurz vor Schleimünde bargen wir alle Segel und motorten das kurze Stück von Schleimünde nach Kappeln die Schlei hinauf. Hier in der Nähe wurde einst die Fernsehserie „Der Landarzt“ gedreht. Man fühlte sich tatsächlich wie in diesem Film. Wir passierten die Klappbrücke von Kappeln.
Kurz dahinter machten wir im Yachthafen fest. Ein Stadtspaziergang durch die Stadt folgte. Lissi und ich aßen ein Fischbrötchen bei Föh. Dessen Werbespruch lautet: „Verlasse Kappeln nie ohne einen Fisch von Föh“. Die Kirche mit dem berühmten Riemenschneider Flügelaltar konnten wir leider nicht besichtigen. Sie war geschlossen. Zurück an Bord gab es wie jeden Abend wieder ein Luxus- 3-Gänge-Menue, das in jedes Sternerestaurant gepasst hätte.
9. Juni
Am Vormittag verließen wir Kappeln wieder unter der geöffneten Klappbrücke hindurch die Schlei hinunter, durch ein (für uns) enges Fahrwasser. Mit uns fuhren etwa 10 kleine Yachten.
Sie alle hatten die Öffnungszeit der Brücke genutzt. Vor uns fuhr ein kleiner 8-9 m Segler. Er beanspruchte die Mitte des Fahrwassers für sich. Uns mit unseren 2,5m-Tiefgang ließ er nicht vorbei, obwohl für ihn mehr als ausreichend Platz gewesen wäre. Andree, der Kapitän, tutete kurz ins Horn. Der kleine ging dann widerwillig doch zur Seite, gab uns aber noch ein paar deftige Schimpfworte mit. Draußen auf der Ostsee wehte es wieder mit schönen 4 Bf aus Ost. Gerade richtig für den Schlag nach Laboe, dem nächsten Hafen. Hier vor der Kieler Bucht wimmelte es schon von Großseglern und Traditionseglern, die für die Kieler Woche trainierten.
Der Hafen von Laboe
Wir erreichten Laboe nachmittags um 1500. Der Hafen war voll und eng. Mit viel hin und her und bis die letzte Leine festgemacht war, brauchten wir fast eine Stunde. Alles war hier schon auf die kommende Kieler Woche eingestellt. Am Strand entlang, in Richtung des U-Boot-Denkmals boten Läden jede Menge Touristen-Schnickschnack an. Der Strand selbst sah in der tiefen Abendsonne aus wie gemalt. Bunte Strandkörbe im gelben Sand vor blauem Meer und roter Abendsonne. Draußen auf der Kieler Bucht herrschte reger Schiffsverkehr. Große Containerschiffe am Horizont, Fähren nach Dänemark und Schweden, große und kleine Segler, sogar ein kohlebetriebenes Museumsdampfschiff blies draußen Rußwolken aus seinem Schornstein, und eine sonderbare Reihenhochhaussiedlung zog vorbei. Nein, ein AIDA Kreuzfahrer schob sich scheinbar langsam aus dem Kieler Fährhafen. 8 oder 9 Stockwerke allein über dem Wasser. Decks kann man das nicht mehr nennen. Das ist kein Schiff mehr.
Der Seenotkreuzer BERLIN, der hier uns gegenüber im Hafen von Laboe lag, ließ seine Maschine an. Es hörte sich an wie ein fernes Gewitter. Das Schiff war gerade mal etwas größer als die Beiboote der AIDA. Ein Mann in einem orangenen Überlebensanzug löste eilig die Festmacherleinen und als der Seenotkreuzer dann den Kopf der Hafenmole passierte, brüllte die Maschine auf. Die Bugwelle schäumte. Innerhalb von Minuten verschwand der Seenotrettungskreuzer hinterm Horizont. Nur ein schaumig weißer Kielwasserstrich blieb für einen Moment zurück.
10. Juni
Nun blieb uns nur noch ein kurzer Motorschlag von Laboe hinüber auf die südwestliche Seite der Kieler Förde an den Tiessenkai, der das östliche Ende des Nord-Ostseekanals flankiert. Er war Start und Ziel unserer Reise. Wir packten unsere Siebensachen, checkten aus, verabschiedeten uns von den neu gewonnenen Bekannten und natürlich vom Kapitän Andree, dem Bootsmann Jan und dem Koch Renee. Mit dem städtischen Bus fuhren wir zurück zum Bahnhof.

-Ende –
Fazit der Reise:
Die AVATAR ist der schönste Topsegelschoner den ich bisher erlebte, eben außerirdisch. Hier stimmte alles bis ins Detail. Das Schiff war ja auch erst 2 Jahre alt. Meine Frau genoss erholsame Tage auf See. Kapitän und Eigner Andree war immer freundlich zu allen und charmant zu den Damen. Man spürte, wie wichtig ihm war, dass sich seine Gäste wohlfühlten. Bootsmann Jan erklärte uns immer wieder und mit endloser Geduld die Segelwechsel. Für mich war es ein Lehrgang in hoher Seemannschaft. Der Koch Rene verwöhnte uns mit Speisen der Sternekategorie. Wir hatten auch Glück mit dem Wetter. Bis auf einen kurzen Regenschauer schien immer die Sonne. Auch der Wind hätte kaum günstiger sein können. Die anderen 10 Gäste waren allesamt nette Leute mit denen man gern ein Bier trank und gute Gespräche führen konnte.
Glossar:
Die AVATAR ist ein moderner Topsegelschoner, fertiggestellt im März 2014, nach mehrjährger Bauzeit und nach dem Design ihres Eigners Andree Hanzens. Im Jahr 2024 verkaufte Hanzens das Schiff an die Familie Blaak (NL). Diese führt das Schiff jetzt unter dem Namen „OZEAN SHERPA“. Deren bevorzugtes Revier ist jetzt die Gegend um Spitzbergen, also weit oberhalb des Polarkreises. Kaum vorzustellen, dass diese schöne Schiff einer halbjährigen Polarnacht aussetzt ist. Bekanntlich toben in den hohen Breiten des Nordatlantiks sehr oft wilde Orkanstürme mit Schnee und Hagel, bei denen sich sogar die Eisbären im Schnee eingraben. Schade um das Hochglanzmobiliar auf und unter Deck. Zurzeit (April 2025) baut Andree Hanzens wieder einen 2-Mast-Schoner. Er ist bald fertig und bekommt den Namen QUADRA. https://quadrasailing.com/de/
Segelplan
1 Großsegel, 3 Schonersegel, 6 Großtopsegel, 11 Marssegel, 12 Bramsegel, 13 Breitfock, 14 Fock, 15 Innenklüver, 16 Außenklüver, 20 Mittelklüver, 21 Stengestagsegel
Hier unten sind einige der Segel bei flauem Wind und in den wahren Proportionen zu sehen, auf dem Schema oben ist alles zu niedrig dargestellt. Von vorn nach hinten: Außenklüver, Innenklüver, oben: Bram, Mars, Breitfock, dahinter: Schonersegel, Stengestagsegel eingerollt, Groß gerefft.
Weitere Fotos der AVATAR findet man unter: https://www.marinetraffic.com/en/photos/of/ships/shipid:224843/shipname:OCEAN%20SHERPA?
Besonderheiten der AVATAR:
Beispiel: Alles Holz ist hochglanzlackiert. Die Blöcke der Schoten sind aus Holz, mit Messinglaufräder und Edelstahlachsen kunstvoll hergestellt. Hier in den obigen beiden Bildern sind z. B. die Nock der Baumfock und die Großschot zu sehen.
In die 3 Rahsegel und das Schonersegel sind Gaitauen eingearbeitet. So können diese Segel von Deck aus gesetzt und beigeholt weren. Niemand muß dazu in die Takelage klettern.
Das Stengestagsegel ist wie eine Rollfock getakelt. Das erspart das umständliche Niederholen und Neusetzen bei jeder Wende. Es muß nur bei der Wende eingerollt werden und auf der neuen Leeseite wieder ausgerollt werden. (leider hab ich kein Foto, aber jeder Segler kennt ja eine Rollfock))
Hans Sturm